Samstag, 28. April 2012

Unerlöste Fälle


„Ohne Zweifel trägt der Kriminalroman alle Merkmale eines blühenden Literaturzweigs zur Schau." Brechts Diagnose der späten 1930er Jahre liefert auch eine adäquate Beschreibung der Gegenwart: Der Krimimarkt floriert - und er tut es nicht zuletzt in Gestalt religionsaffiner Kriminalliteratur. Dass sich das Genre durch eine prinzipielle Nähe zu religiösen Horizonten auszeichnet (etwa wegen des Widerstreits zwischen Gut und Böse, der Thematisierung von Schuld und Sühne oder der Erlöserrolle des Ermittlers), wird ebenso oft behauptet wie bestritten. Offenkundig ist zumindest, dass nicht wenige Einzeltexte der neueren kriminalliterarischen Produktion in teilweise offensiver Weise religiöse Traditionen und Probleme einspielen und bearbeiten. Diese vielfältigen Zusammenhänge - ausgespannt zwischen ausdrücklichen Bezügen und strukturellen Phänomenen - lotet der vorliegende Band aus. Er versammelt Beiträge von Fachwissenschaftler innen verschiedener Disziplinen und umfasst ebenso Einzelinterpretationen wie breiter perspektivierte Erkundungen der Gattungs- und Forschungsgeschichte.

Mit Beiträgen von: Brigitte Boothe, Christoph Gellner, Tobias Gohlis, Mike Gray, Joachim Linder, Petros Markaris, Andreas Mauz, Regine Münz, Elio Pellin, Adrian Portmann, Christine Stark, Heinrich Steinfest, Jochen Vogt, Folkart Wittekind, Thomas Wörtche.

Mauz/Portman (Hrsg.): Unerlöste Fälle: Religion und zeitgenössische Kriminalliteratur

Freitag, 27. April 2012

Das wunderbarliche Vogelnest


Davon können wir Leser nur träumen – oder eben lesen: Das wunderbarliche Vogelnest macht seinen Besitzer unsichtbar und eröffnet ihm Gelegenheiten zu allem Möglichen, was sonst unmöglich wäre. In einer Fülle komischer Szenen, amouröser Episoden und drastischer Streiche lässt Grimmelshausen zuerst einen einfachen Soldaten und dann einen machtbesessenen, reichen Kaufmann erzählen, wie es ihnen mit dem Vogelnest ergangen ist, und zeichnet dabei ein Panorama der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Täuschung und Selbsttäuschung sind allgegenwärtig, denn nicht nur der Krieg – auch der Frieden bringt, auf seine Weise, eine »verkehrte Welt« hervor. Grimmelshausen interessiert sich aber nicht nur dafür, was seine Figuren aus ihrer Unsichtbarkeit machen. Er geht auch der umgekehrten Frage nach: Was macht die Unsichtbarkeit aus ihnen? Der Kaufmann gerät ihm hierüber zur schwärzesten Figur, die er je geschaffen hat. Inmitten von Komik und Phantastik tun sich Abgründe auf ...
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen wurde 1621 oder 1622 im hessischen Gelnhausen geboren. Den Dreißigjährigen Krieg hat er von 1634 bis zum Friedensschluss 1648 aus nächster Nähe erlebt. Später wurde er Burg- und Gutsverwalter, zeitweise auch Gastwirt am Oberrhein und starb dort im August 1676 als Schultheiß von Renchen. 1672 und 1675 erschienen die beiden Bücher vom Wunderbarlichen Vogelnest.

Das wunderbarliche Vogelnest: Erster und zweiter Teil Abenteuer zweier Unsichtbarer Aus dem Deutschen des 17. Jahrhunderts und mit einem Nachwort von Reinhard Kaiser