Dienstag, 18. März 2008

Die Kinder von Wien


Ein Fetzenteppich des Lebens und Überlebens.

Ob Berlin oder Wien: Die strahlenden Städte, in denen wir's uns gemütlich machen, sind in Wahrheit Gespensterstädte, unter dem Asphalt die Trümmer, in denen die Archäologen zu graben beginnen, Totenstädte ...

Robert Neumann, der berühmte Parodist und verkannte Romancier, entführt uns in einen Wiener Keller im Nachkriegsjahr 1946, in dem ein eigenwilliges Gemisch von Geräuschen und jiddischen, russischen, deutschen und amerikanischen Sprachfetzen zu hören ist, so authentisch, dass auch das Schaben, Kratzen und Huschen der Ratten auf den nackten Kellerböden von dem ganz unjungen Jargon einer Bande Halbwüchsiger nicht übertönt wird. Jid, Goy und Ewa heißen drei der sechs Kinder, die sich stehlend, hurend und hehlend eingerichtet haben im Nachkriegschaos, die vom Glück ihrer anarchistischen Freiheit ebenso wenig daher machen wie vom allgegenwärtigen Mangel - weil sie's nicht anders kennen.

Ihre Perspektive ist der Blick nach oben, durch die Schächte zum Licht, und was sie sehen, sind nackte Füße, Sandalen, kaputte Stiefel und den Exnazi in alliierten Diensten, der sie aus ihrem Ruinenkeller zu vertreiben, den schwarzen Armee-Pastor, der sie zu retten versucht ... Die Kinder von Wien ist der kleine-große Roman des Nachkriegs, der dichter als jedes andere Buch von der zweiten Realität erzählt, deren Schatten uns begleiten (ob wir's wissen oder nicht).

Die Kinder von Wien, Frankfurt 2008